Warum schreiben?


Die Sache mit der Realität ist ja, dass sie einfach nicht das macht, was sie soll. Aus Verzweiflung und weil es einfach nichts anderes gibt, schreibe ich diese Worte. Literatur, dies das. Ein Tagebuch, ein paar Kurzgeschichten, Depressionen, wie immer, und mein Problem mit der Jugend – ich will doch nur ein Autor sein.

Karl Erikssohn, Kontakt »

Doch warum?

Wolfgang Herrndorf aus Arbeit und Struktur:

Dämmerung

Ich bin vielleicht zwei Jahre alt und gerade wach geworden. Die grüne Jalousie ist heruntergelassen, und zwischen den Gitterstäben meines Bettes hindurch sehe ich in die Dämmerung in meinem Zimmer, die aus lauter kleinen roten, grünen und blauen Teilchen besteht, wie bei einem Fernseher, wenn man zu nah rangeht, ein stiller Nebel, in den durch ein pfenniggroßes Loch in der Jalousie hindurch bereits der frühe Morgen hineinflutet. Mein Körper hat genau die gleiche Temperatur und Konsistenz wie seine Umgebung, wie die Bettwäsche, ich bin ein Stück Bettwäsche zwischen anderen Stücken Bettwäsche, durch einen sonderbaren Zufall zu Bewußtsein gekommen, und ich wünsche mir, daß es immer so bleibt. Das ist meine erste Erinnerung an diese Welt.

Angeblich wächst die Sentimentalität mit dem Alter, aber das ist Unsinn. Mein Blick war von Anfang an auf die Vergangenheit gerichtet. Als in Garstedt das Strohdachhaus abbrannte, als meine Mutter mir die Buchstaben erklärte, als ich Wachsmalstifte zur Einschulung bekam und als ich in der Voliere die Fasanenfedern fand, immer dachte ich zurück, und immer wollte ich Stillstand, und fast jeden Morgen hoffte ich, die schöne Dämmerung würde sich noch einmal wiederholen.

Das ist das Schönste, das ich jemals gelesen habe. Und das ist es vielleicht – zu wissen, dass da jemand ist, der ein bisschen so empfindet wie du. Natürlich will und kann ich mich nicht mit einem Wolfgang Herrndorf auf eine Ebene stellen, aber trotzdem ist mir dieser Mensch ganz nah, wenn ich diese Zeilen lese. Dann kommt es mir so vor, als ob ich nicht ganz alleine wäre auf dieser Welt. Auch wenn er jetzt tot ist.

Schreiben heißt frei sein, ist Freisein und hilft, ein Stück dieser Welt etwas besser zu verstehen. Und wenn es auch nur die eigene, ganz kleine ist. Man setzt sich auseinander. Mit sich, seinen Mitmenschen oder Weltproblemen. Was es aber auch ist, schon das Auseinandersetzen hilft. Hilft vor Unzufriedenheit, vor Frust, bei Trauer und Unverständnis. Und wenn es jemand liest, so ist es schön.

Jetzt mal ehrlich

Mein Grundmodus ist die Melancholie. Es gibt Menschen, die sind von Grund auf froh. Die lachen immer und sagen, das schaffen wir schon und so. So bin ich nicht. Ich muss mich immer anstrengen, um auf neutralem Grund froh zu sein. Da kann ich nichts für. Aber ich gebe mir Mühe. Vergangenheit? Was weiß ich.

Ich schreibe, weil ich etwas brauche, um mich auszudrücken. Ob das Kunst ist? Literatur? Ich weiß es nicht. Mich beschäftigen immer wieder Dinge, die ich verarbeite, die ich bearbeite, wie eine Skulptur, nur mit Worten. Welches Leben ist da, das nur leicht ist? Das gibt es nicht. So auch nicht meins. Deswegen schreibe ich darüber, über Wünsche, dunkelschwarze Gedanken oder über Schnee. Tagebuch. Oder ich denke mir einfach eine andere Welt aus und freue mich, wie einfach das mit ein paar Worten geht. Also nicht immer alles so ernst nehmen, was da steht. Das ist sowieso eine gute Sache – auch generell im Leben. Hat mir mal ein Freund gesagt. Und Wolfgang Herrndorf auch – sowas wie, ist doch eh alles reine Glückssache.

Ich arbeite außerdem ganz konkret an ein paar Buchprojekten. Das Manuskript von „Sammelstelle bei Sturmflut hier“ lag schon bei einigen Literaturagenten. Einer hat Interesse bekundet. Leider fehlt mir gerade die Zeit. Außerdem habe ich bei www.ichfahresogernbus.de halbfiktive Geschichten skurriler Busfahrten niedergeschrieben.